Wenig Innovation und Parallelverkehr

Zusammenfassung des Beitrags: 

Die Streckenführung schafft fast keine neuen Verbindungen und verläuft parallel zu bestehenden Schienennahverkehrssystemen – ohne nennenswerte verkehrliche Vorteile für die meisten Fahrgäste.


Die CityBahn folgt in der bisher favorisierten Variante über die Wiesbadener Straße im Wesentlichen dem Laufweg der heutigen Buslinie 6 – es entstehen keine grundsätzlich neuen Verbindungen oder Einzugsgebiete. Auch scheinen entgegen der Aussagen der Projektbeteiligten Reisezeitgewinne kaum möglich – wie man im Mainzer Straßenbahnnetz sieht, sind Busse und Bahnen auf gemeinsam genutzten Abschnitten gleichschnell. Mit ähnlicher Haltestellendichte wie beim Bus wird dies auch für die CityBahn gelten, neue Fahrgäste für den ÖPNV kann sie damit maximal aufgrund des höheren Komforts gewinnen. Das ist etwas wenig für ein Projekt dieser Größenordnung.

Bereits heute verkehren auf dem Abschnitt Wiesbaden Hbf über Wiesbaden-Ost nach Mainz-Kastel parallel zur geplanten CityBahn-Strecke stündlich bis zu 6 schienengebundene Verkehrsmittel (S-Bahn, VIAS). Die S-Bahnen weisen noch hohe Kapazitäten auf (Auslastung in diesem Abschnitt auch in der Hauptverkehrszeit weit geringer als 50%), der Bahnhof Wiesbaden-Ost ist äußerst schwach frequentiert, es besteht hier bereits ein Nahverkehrs-Überangebot. Zusätzliche Kapazität ist damit zumindest zwischen den Quell-/Zielpunkten Wiesbaden Hbf, Wiesbaden-Ost und Mainz-Kastel nicht nötig. Die CityBahn verkehrt hier allerdings in Konkurrenz zur S-Bahn, die prognostizierten Nachfragezahlen speisen sich damit sicher auch durch Fahrgäste, die heute die S-Bahn nutzen. Dies ist im Gesamtkontext ÖPNV-Nutzung kein Fortschritt.

S-Bahn Parallelverkehr

Für die Fahrgäste in Mainz-Kastel sollte vielmehr versucht werden, mittelfristig den Umstieg vom Stadtbus am Brückenkopf zur schnellen S-Bahn nach Wiesbaden komfortabler einzurichten sowie langfristig die Taktung der Bahnen zwischen Mainz-Kastel und Wiesbaden Hbf (heute 3 Züge innerhalb von 10 Minuten, dann 20 Minuten keine Bahn) zu verbessern.

2 Gedanken zu “Wenig Innovation und Parallelverkehr

  1. Danke für diesen Post; es hat mich dazu bewegt, noch mal auf das Thema „Bewertung“ einzugehen.
    Mich würde interessieren, wie das im Verkehrsbereich genau funktioniert; hier in Wiesbaden haben wir ja gerade das Thema „NKU“, wo meines Wissens die verwendeten Werte nicht offengelegt und das Ganze somit nicht nachvollzogen werden kann.

    Ich befasse mich beruflich unter anderem mit der Standardisierung von Metriken für subjektive Qualität (im Mobilfunk, hauptsächlich). Da geht man von einem typischen Anwendungsfall aus und betrachtet das ganze „Ende zu Ende“ aus Nutzersicht.

    Übertragen auf Mobilität heißt das: Ich starte vom Zielpunkt (sagen wir, zuhause) und meine Reise geht bis zum Endpunkt (Arbeitsplatz, Restaurant, whatever). Wenn ich mit Öffis fahre, heißt da: Der Weg zur ersten Haltestelle gehört genauso dazu wie der Weg von der letzten Haltestelle zum Ziel. Und da ein „typischer Nutzer“ nicht in der Lage oder bereit ist, sein Leben sekundengenau auf irgendwelche Fahrpläne auszurichten, gehört auch ein Zeitpuffer dazu. Oder simpler, der Erwartungswert, also der halbe Taktabstand, wenn jemand „fahrplan-agnostisch“ startet. Dazu kommt noch eine Zusatzzeit, wenn man eine Umsteigeverbindung verpaßt hat (aus dem Takt und der Wahrscheinlichkeit von Verspätungen berechnet).

    Ich bin nicht sicher, ob dies bei einer NKU so gerechnet wird – ich habe mal gehört, da wird einfach die Fahrzeit von Einsteige-Haltestelle bis Zielhaltestelle genommen. Nicht sehr realistisch, falls das stimmen sollte.

    Es gibt natürlich noch mehr Faktoren, die Einfluß auf die „Quality of Experience“ haben. Zum Beispiel das subjektive Sicherheitsgefühl – das durchaus eine objektive Grundlage hat, angefangen bei Gerüchen, Bakterien oder Viren der Mitreisenden bis hin zu Belästigungen und tatsächlich aggressiven Handlungen. Diese Faktoren können wiederum beeinflußt werden. Im Fall von Krankheitserregern ist es sicher etwas schwieriger; in der Wahrnehmung und vermutlich auch aus medizinischer Sicht macht es aber sicher auch einen Unterschied, ob der Bus oder Waggon voll besetzt ist oder nur halb. Bei dem Bedrohungspotential wiederum gibt es diverse Maßnahmen sowohl im Haltestellenbereich als auch in den Fahrzeugen selbst.

    Auch der „Transportfaktor“ spielt eine Rolle. Einkaufen ist etwa so ein Use Cases. Wenn ich zwei volle Einkaufstüten habe, steigt mein Streß sowohl beim Laufen zu und von Haltestellen, als auch im Fahrzeug selbst.

    Das klingt so wie eine Liste zu Lasten des ÖPNV – aber sorry, , in den genannten Disziplinen ist er nun mal schlechter als der MIV. Beziehungsweise erhöht eine Score-Verbesserung die Kosten. Es gibt ja auch Faktoren zugunsten des ÖPNV, so etwa der „nicht-selbst-fahren-müssen“-Faktor. Wichtig ist bei dem Ganzen einfach, einen klaren und objektiven Blick zu behalten. Es mag sein, daß es hier und da wirklich fanatische PKW-Anbeter gibt (ähnliche Charaktere findet man sicher auch in anderen Lagern). Die weitaus meisten Menschen treffen jedoch durchaus rationale Entscheidungen. Will man diese Entscheidungen beeinflussen, muß man wissen, wie sie zustandekommen, und entsprechende Angebote machen.

    Eine ganzheitliche und wirklich nutzerorientierte Bewertung der „Quality of Experience“ ist aus meiner Sicht essentiell. Hier ist man nicht auf theoretische Herleitungen angewiesen – die genannten Faktoren lassen sich ohne weiteres durch Empirik überprüfen und kalibrieren.

    Und last but not least – eine Renovierung der NKU, nicht nur in der oben dargestellten Form scheint mir dringlich zu sein. Dazu gehören auch Themen wie Elektromobilität, trotz der offenen Fragen z.B. bei der realen Ökobilanz, wenn man die Batterieproduktion mitrechnet. Bei einer Prognose, die über 10-15 Jahre geht, sollte berücksichtigt werden, daß ein Teil der „vermiedenen“ Fahrten bereits lokal emissionsfrei gewesen wären. Von Prognosen unter Einbezug des Autonomen Fahrens mal ganz abgesehen.

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    • Hallo autodrivingweb! Bei der Frage zu den Reisezeiten berücksichtigt man fairerweise den kompletten Weg, inklusive Zu- und Abgangszeiten, Lauf- bzw. ggf. auch Wartezeiten usw.. Allerdings ist dies sehr aufwändig und nur rechnergestützt für alle Einwohner erstellbar. Mir ist nicht bekannt, ob für Wiesbaden ein solches Verkehrsmodell in ausreichender Detaillierung (straßengenau!) vorliegt.

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